Die Spiritualität des Fokolar und die Theologie

Zur 1. These*

[6] Zur 1. These: Die erste Belastungsprobe christlicher Geschichte nach Ostern ist eine Belastungsprobe der Einheit zwischen den Judenchristen und den aus dem Heidentum Berufenen. Das Apostelkonzil, aber auch die Auseinandersetzungen, die sich im Galaterbrief spiegeln, das große Kirchen- und Gemeindebild des Epheserbriefs zeigen es: der Geist Jesu vermag das zusammenzuführen, was von Natur und Tradition her getrennt ist, gerade darin bewährt sich, daß in Jesus Christus jener am Werk ist, der Geschichte und Menschheit insgesamt führt und lenkt.

Noch eine zweite Bewährungsprobe der Einheit fällt in den Umkreis neutestamentlichen Schrifttums: Durchtragen der von Jesus Christus gestifteten Einheit gegen die Beirrungen und Verirrungen, die es in der Begegnung mit der Gnosis und anderen religiösen und kulturellen Traditionen und Ideen jener Kultur gab, in welcher das junge Christentum Fuß faßte. Wir dürfen die Theologie der Einheit, die uns in den johanneischen Schriften begegnet, dürfen den hier statuierten Zusammenhang zwischen dem Glaubenkönnen der Welt und der Einheit der Glaubenden in der Liebe in der Zuspitzung darauf hin lesen. Es ist sozusagen das „letzte Wort“ Jesu, aber auch seines Geistes in der Schrift, daß die andere Art des Einsseins, die aus seinem Verhältnis zum Vater erwächst, in welches er uns hineinnimmt, sowohl das innere Prinzip der Einheit der Kirche wie deren magnetische und missionarische Kraft nach außen vorbildet und darstellt.

Es geht nun nicht darum, die vielerlei Belastungsproben kirchlicher Einheit im Lauf der Jahrhunderte ans Licht zu heben, vielmehr sollen nur drei Situationen erwähnt werden, die man als säkulare Umstiegssituationen des Christentums in einen neuen kulturellen Kontext bezeichnen könnte. Ich denke da an das Zuendegehen der Antike im Einstrom anderer, neuer Völker in den mittelmeerischen Kulturbereich und die dadurch erfolgende Infragestellung der römischen Reichs-, aber auch Kultureinheit. In [7] diese Stunde hinein spricht der „Gottesstaat“ des Augustinus. Das „ungetrennt und unvermischt“ der christologischen Formel von Chalkedon wird hier Vision und Programm der Stellung der Kirche in der Welt, der Präsenz des Gottesreiches selber in der Kirche. Auch wenn diese Vision gerade nicht in allem verstanden und eingeholt wurde, ist es die Signatur des Mittelalters, daß innere Einheit der Kirche und äußere Einheit zwischen Kirche und Welt Problem und treibende Kraft dieser einzigartig großen Epoche unserer Geschichte ist.

Gegen Ende des Mittelalters wurde – und dies konjugiert sich brüchig in der gesamten Neuzeit durch – die mannigfache Einheit: Einheit zwischen Wort und Begriff (Nominalismus); Einheit der Kirche (Reformation); Einheit des Reiches (Nationalstaaten); Einheit der Gesellschaft (Französische Revolution); Einheit von Lebens-, Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitswelt (industrielle Revolution); Einheit der Grundüberzeugungen (Säkularisierung). Diese seit dem späten 14. Jahrhundert sich aneinanderreihenden Stationen ließen latent nacheinander auch je neue Versuche der praktischen und denkerischen Bewältigung der Einheitsproblematik entstehen. Indem sie hinter der Problematik der Freiheit des Subjektes zurücktrat, wurde sie gerade nicht gelöst, sondern brach in der Vision des Marxismus als neue Herausforderung auf, die heute unausweichlich ist – nach wie vor infolge der ideologischen Kraft des Marxismus, aber nicht minder infolge der gesamten Weltentwicklung: Entstehen der einen Welt durch die menschheitlich weite Ausdehnung der technischen Zivilisation, in die jedoch die Vielzahl der Kulturen aufbricht, und globale Abhängigkeit aller von allen in den Schicksalsfragen um Weltwirtschaft, um Krieg und Frieden, um Ressourcen und Umwelt. Wird die Kirche diesmal das Erbe, den Auftrag und die Chance wahrnehmen, die ihr vom Herrn selber übergeben ist, wird sie die Herausforderung ihres geschichtlichen Beitrags für diese Stunde der Welt erkennen? Lumen Gentium und auf ihre Weise auch die Pastoralkonstitution [8] Gaudium et Spes sind Fingerzeige in diese Richtung.