Zur Situation des pastoralen Dienstes*

Zur Situation des pastoralen Dienstes*

[3] Liebe Mitbrüder!

Wenn jene von Ihnen, die vor dreißig oder gar vor fünfzig Jahren ihren Dienst begonnen haben, bei ihrer Priesterweihe plötzlich hineinversetzt worden wären in die Gemeinde, in der Sie heute wirken, und wenn Sie gesehen hätten, wie priesterlicher Dienst jetzt aussieht: vermutlich hätte das Ihre Vorstellungen aus den Angeln gehoben. Und zumindest ein Staunen, wie „anders“ dieser Dienst ist, überfällt wohl auch manchen, der erst vor kurzem, erst nach dem Konzil zum Priester geweiht wurde.

Indessen darf nicht nur ich als Ihr Bischof froh sein, daß Sie, die Älteren und die Jüngeren, Ihr Adsum gesprochen und es durchgetragen haben. Trotz aller Belastungen und Umstellungen sind das Ja, seine Freude und seine Kraft in Ihnen mächtiger geblieben als die Versuchung zum Rückzug, zum Aussteigen, zur stillen Enttäuschung. Und dafür danke ich Ihnen.

Nun, unser Weg ist nicht zu Ende, noch tiefgreifendere Wandlungen stehen uns bevor. Auch wenn man nicht mit Vorrang aufs Rechnen und Planen setzt, kann man die Augen nicht davor verschließen, daß die Situation unserer Gemeinden, die Situation des priesterlichen und ganz allgemein des pastoralen Dienstes im Bistum sich binnen weniger Jahre drastisch verschieben wird. Und darauf müssen wir uns einstellen.

Ich habe zu viele und zu einläßliche Gespräche mit Bischöfen und Priestern vieler anderer Länder geführt, um – gemessen an ihrer Not, ihrer Zuversicht und ihrem Mut – unsere eigene Zukunft unbefangen unter Worte zu stellen wie „bevorstehende Katastrophe“, „Zusammenbruch der Seelsorge wegen Personalmangel“. Ich habe aber auch zu viele und zu ernste Gespräche mit vielen von Ihnen, liebe Mitbrüder, geführt, um mit ein paar theologischen, spirituellen oder planerischen Gedankenflügen die Not zur Tugend zu erklären und mir die Sicht auf all das zu versperren, was Sie bedrängt an Überforderung, an schmerzlichem Mißverhaltnis zwischen dem, was sich leisten läßt, und dem, was zu tun wäre. Treibenlassen der Verhältnisse, Abwarten, bis bessere Zeiten kommen, oder Resignation waren gleichermaßen gefährlich; Besinnung auf die notwendigen und möglichen Schritte hingegen tut not.

Diesen möglichen und nötigen Schritten gilt mein Brief an Sie. Ich möchte Sie bitten, ihn nicht gleich zu den Akten zu legen, sondern ihn so ins Bewußtsein, ins Gespräch, ins Gebet hineinzunehmen, daß Sie die Sache mittragen können, um die es hier geht. Es hängt viel für die Zukunft des Bistums davon ab.

Aber kann man von den „möglichen und nötigen Schritten“ sprechen, ohne den Lösungsvorschlag ins Auge zu fassen, der vielen als der nächstliegende erscheint: Zulassung Verheirateter zum Priestertum?

[4] Ich weiß, wie ernst die Sorge ist, aus der diese Frage wachst. Ich gehe nicht achtlos über sie hinweg. Allerdings sehe ich, offen gestanden, hier nicht die Lösung. Nur mit ein paar Sätzen zu sagen, warum nicht, wäre zu wenig. Uns auf dieses Problem zu konzentrieren, wäre indessen ebenfalls zu wenig. Denn auch dann, wenn Sie persönlich in der Zölibatsfrage anders denken sollten als ich, werden Sie darin mir wohl zustimmen: Auf ungewisse Faktoren das Konzept für die Zukunft aufzubauen, wäre nicht verantwortlich. Und ebensowenig verantwortlich wäre es, unsichere Erwartungen bei denen zu wecken, die den Priesterberuf oder einen anderen pastoralen Beruf für sich in Erwägung ziehen. Auf eine Änderung der Zulassungsbedingungen zum Priestertum – die in der Kompetenz der Leitung der Gesamtkirche liegt – darf man also die pastorale Planung sicher nicht abstellen. Die Schritte, von denen ich in diesem Brief zu Ihnen sprechen möchte, sind unabhängig davon notwendig und möglich; sie waren es auch ohne den aktuellen Priestermangel.