Oikonomia

Zwei Aachener Kirchen*

Der Gedanke wurde mit Bedacht so angesetzt, daß οἰκονομία vom theologischen Gedanken in sich her, der sich in diesem Wort verfaßt, zur Sprache kam und dass demgegenüber Architektur in sich und nicht in der Beschränkung auf sakrale Architektur ihre phänomenalen Momente zeigte. Gerade so wird die Entsprechung sichtbar. Dabei ist nicht zu verkennen, daß in sakraler Architektur dieser innere Nexus zwischen Theologie und Architektur und auch die „oikonomische“ Struktur der Architektur am eindringlichsten aufscheint.

Es wäre interessant, dies an zwei Beispielen des Aachener Kirchenbaus bis ins einzelne hinein darzutun: am Dom und an der Pfarrkirche St. Fronleichnam, an zwei Kirchen, die von ihren baulichen und von ihren theologischen Ansätzen so weit auseinanderliegen wie von ihrer geschichtlichen Entstehungszeit her – und doch zeigt sich eine tiefgreifende Übereinstimmung.

Nur soviel sei gesagt: Der karolingische Bau des Aachener Doms ist „nichts anderes“ als Abbild des Himmlischen Jerusalem, gerade so aber Gestalt. Die [309] Gestalt selber wird zum Abbild, zu Spiegelung der Idee. Die gespiegelte Idee aber steht in unmittelbarem Zusammenhang zum „funktionalen“ Sin der Pfalzkapelle, des auf das Reich bezogenen und dem Reich dienlichen Gotteshauses, das hier von Karl dem Großen errichtet wurde. Die spätgotische Ergänzung und Aufsprengung der karolingischen Bauidee zerstört diese nicht, sondern entspricht ihr in formaler Antithese und variierender Entsprechung zugleich.1 Form selber, Gestalt selber wird in sich wie im Bezug sowohl auf den „erweiterten“ Grundbau als auch auf französische Herkünfte als eine solche gemeint: Grabhalle des großen Ahnherrn, des Kaisers Karl. So werden beide Bauteile selbst zur zweieinen, aber so gerade „einen“ Form und erhalten, ohne ihren je eigenen Aussagewert zu verlieren, die Kraft einer neuen Aussage. Dabei wird die dem ursprünglichen Bau geschichtlich zugewachsenen Doppelung der Funktion, nicht nur Krönungs- und Residentialkapelle, sondern auch Grab- und Erinnerungsstätte zu sein, selbst Gestalt.

Geht der Aachener Dom von dem Grundgedanken des Himmlischen Jerusalem aus, so ist die Bauidee von Rudolf Schwarz für die Kirche von St. Fronleichnam das wandernde Gottesvolk, das dem Herrn entgegengeht. Die Genialität des Baus liegt wiederum in der Doppelung: Diese theologische Idee abbildend, wird zugleich die Welt abgebildet, in welche dieser Bau theologisch wie funktional hineinreicht: die moderne, technisierte Arbeitswelt. Beides verschmilzt zur in sich überzeugenden Gestalt, die den doppelten funktionalen Sinn aufgreift: Kirche als Haus Gottes du als Haus dieser Gemeinde.


  1. Vgl. z. B. die Maße des Oktogons und des Abschlusses der Chorraumhalle mit den neun Seiten eines Vierzehnecks. ↩︎