Das Heilige und das Denken

Zweiheit und Einheit des Zugangs

Die Frage: Wie ist Heiliges zu denken, daß es dem Denken heilig sei? fragt nach dem Zugang des Heiligen, nach der Stätte, wo Heiliges und Denken sich begegnen. Diese Stätte muß im Denken liegen, denn dem Denken soll in sich selbst, in seiner Helle der Aufgang des Heiligen widerfahren. Sie muß ebenso im Heiligen liegen; denn das Heilige selbst soll, als Heiliges, dem Denken aufgehen. Das Denken soll zugehen aufs Heilige, damit es ihm heilig sei, das Heilige zugehen aufs Denken, um als heilig sich ihm anzutun.

So entläßt unsere leitende Frage zunächst aus sich ein zu ihr hinleitendes Fragepaar, das, sich begegnend, nach einer gemeinsamen Antwort verlangt: Wie kommt Denken als Denken zum Heiligen, wie Heiliges als heilig zum Denken? Es geht um den Zugang des Denkens zum Heiligen und den Zugang des Heiligen zum Denken.

Um diesen zweieinen Zugang zu finden, ist notwendig das Denken an sich selbst verwiesen: in sich selbst soll es einen Hinweis finden, der es als Denken auf so etwas wie das Heilige zuführt, und ebenso in sich selbst eine Spur, die in ihm als Denken von so etwas wie Heiligem herrührt. Sucht also Denken von sich her das Heilige, und hat das Heilige zugleich von sich her das Denken gesucht oder gar heimgesucht? Diese Fragen sind dieselben wie die obigen, doch ist jetzt offenbar, daß sie beide sich ans Denken richten.

Es soll also nicht auf der einen Seite zwar eine Selbsterörterung des Denkens aufs Heilige hin statthaben, auf der anderen Seite aber nur in einem von sich absehenden Denken der phänomenale Gehalt des Heiligen „in sich“ erhoben und dann an das sich denkende Denken von außen herangetragen werden, es soll vielmehr auch auf dieser anderen Seite, der des Zuganges, den das Heilige zum Denken nimmt, sich zeigen: Nur weil Heiliges als solches es aufs Denken absieht, kann dieses von sich absehend Zeuge [13] des Aufgangs des Heiligen werden; als Denken ist es, indem es denkt, in die Zeugenschaft dieses Aufgangs gerufen, denn nur so kann Heiliges dem Denken wahrhaft heilig sein. Wenn auch noch in keiner Weise ausdrücklich wurde, was „heilig“ überhaupt heiße, dem Denken ist es nur heilig, wenn seine Heiligkeit nicht eine bloß gedachte ist, sondern wenn sie aus sich her dem Denken und aufs Denken zukommt.

Die Fragen nach dem doppelten Zugang des Heiligen: dem des Heiligen zum Denken und dem des Denkens zum Heiligen, haben so zunächst zwar ein entgegengesetztes Woher und Wohin: die eine leitet vom Denken zum Heiligen, die andere vom Heiligen zum Denken. In beiden geht es aber um Eines: um die Begegnung des Heiligen und des Denkens in einem Aufgang des beiden für- und ineinander. Doch nun zeigt sich des weiteren: Beide Fragen richten sich ans Denken, das Denken ist ihr Weg, im Denken ist anzufangen, um zur Antwort zu kommen. Soviel aber hat sich im vorhinein von dieser Antwort ebenfalls schon ergeben: Nur dann findet das Denken einen Weg zum Heiligen, nur dann kann Heiliges ihm heilig sein, wenn im Denken das Heilige dem Denken zuvorkommt, wenn aus dem zuvorkommenden Zukommen des Heiligen zum Denken dieses aufs Heilige zugeht. Denn gerade indem das Denken auf sich besteht (ihm als Denken soll das Heilige heilig sein), besteht es darauf, daß sein Gedachtes nicht bloß sein Gedachtes, sondern von sich her es selber sei. Deshalb faßten wir die Frage des Denkens nach seinem Zugang zum Heiligen präsentisch: Sucht Denken von sich her das Heilige? Die Frage des Denkens nach dem Zugang des Heiligen zu ihm hingegen rückten wir ins Perfekt: Hat das Heilige von sich her das Denken gesucht oder gar heimgesucht?

Das Erörterte gilt allgemein vom Verhältnis des Denkens zu seiner Sache, entfaltet die durchgängigen Bedingungen einer philosophisch-phänomenologischen Untersuchung, die jeweils im Denken, im Denken aber mit dem Vorrang des Sich-Zeigenden, weil so nur gemäß Gedachten, beginnt. Wir sind also, wie es scheint, [14] dem Eigenen und Unterscheidenden einer philosophischen Phänomenologie des Heiligen noch nicht nähergerückt. Es soll sich im folgenden indessen erweisen, daß gerade im Fall des Heiligen die ausgeführten Verhältnisse ihre unüberholbare Ursprünglichkeit erreichen: Die fürs Denken konstitutive Beziehung auf das, was allein als nicht nur gedacht wahrhaft gedacht ist, soll sich als das anfängliche Denk-Mal des Heiligen im Denken enthüllen, dessen innewerdend es zum Andenken des Heiligen wird.