Berufungspastoral um die Jahrtausendwende

Zweiter Quellbereich: Religion.

Die totgeglaubte Religion feiert in unabsehbarer Vielfalt ihrer Formen Urständ. Fundamentalistische und esoterische Religionen und Religionsverständnisse ziehen Menschen an sich, die in der platten Verfügbarkeit des Machbaren und in der Enttäuschung über dessen Grenzen und Perversionen an ihre eigenen Grenzen, an die Grenzen neuzeitlicher Objektwelt stoßen. Auch hier mischen sich positive Grenzerfahrungen mit abgründigen Gefahren. Wo Religion nur der Ersatz des technischen Verfügens durch ein magisches oder ethisches Verfügen über die entzogene Quelle der Zukunft wird, da gerät – um ein frühes und scharfsichtiges Zeugnis für solche Entwicklung zu benennen – Religion von ihrem Wesen in ihr Unwesen.1 [6] Religion als Droge für die Traurigkeit über die eigenen Grenzen und jene der Welt, Religion als Flucht vor dem endlichen Bewährungsfeld dieser Welt, Religion als bloße Steigerung der Lebensintensität – auch dies ist Sackgasse und Irrweg. Religion ist, wie die Natur und mehr noch als nur die Natur, Quellbezirk der Ursprünge, aber die Quelle springt nur in der Beziehung, im persönlichen Ruf und in der personalen Antwort, in der sich selbst lassenden, hingebenden Anbetung und in der sich selbst einbringenden Nachfolge des Herrn.


  1. Vgl. Welte, Bernhard: Wesen und Unwesen der Religion, in: ders.: Auf der Spur des Ewigen, Freiburg 1965, 279–296. ↩︎