Der Himmel ist zwischen uns

Zwischen uns geschieht die Welt

Zwei Bekannte sind anders als sonst. Sie sind schweigsamer, sie sind kühler zueinander, zurückhaltender – und das wirkt sich auch darauf aus, wie sie mir begegnen. Ich frage sie: Was ist zwischen euch?

Zwei Bekannte sind anders als sonst. Ein heimlicher Blick der Verständigung zwischen ihnen, ehe der eine zu mir, dem dritten, etwas sagt. Einfühlung, Zusammenspiel, Freude zwischen ihnen. Ja, zwischen ihnen. Dort ist Neues gewachsen, Beziehung, Freundschaft.

Aber ist das etwas Besonderes? Ist nicht eigentlich immer etwas zwischen uns, zwischen dir und mir, zwischen denen, die an derselben Arbeitsstelle sind, die im selben Hause wohnen, die in dieselbe Kirche gehen, die in derselben Straßenbahn sitzen? Dieses heimliche „Zwischen“ stimmt und bestimmt das Leben, stimmt und bestimmt die Welt.

Wir sind meist geneigt, die Welt bloß als eine Ansammlung von Dingen und Menschen zu betrachten. Aber ist das die Welt? Geht das Entscheidende nicht zwischen den Dingen und zwischen den Menschen vor? Welt – ist das nicht eher der Boden, der alles trägt, und die Luft, die alles miteinander verbindet, der Raum, in dem alles sich bewegt und begegnet? Dreht das nicht meine Maßstäbe um? Für mich heißt Welt doch zunächst einmal meine Welt. Will sagen: das Um-mich-herum, meine Umgebung. Ich als Mitte und um mich – wie um einen Stein, der ins Wasser fällt – Kreise, immer weitere [12] konzentrische Kreise, die sich allmählich ins Sichtlose, Endlose verlieren. Und nun soll gelten: Wichtiger als meine Welt, mehr Welt als meine Welt ist das, was zwischen uns vorgeht, das, was zwischen dir und mir aufbricht? Ja, indem wir einander anschauen, indem wir aufeinander zugehen, indem wir miteinander sprechen, gewinnt alles erst seinen Ort, seine Farbe, sein Licht.

Stellen wir uns einmal vor, es wäre ein strahlender Tag, und wir wären in einer großen Stadt, mitten im Gewimmel vieler Menschen. Aber ein jeder starrte verschlossen vor sich hin, keiner höbe den Blick, keiner lüftete den Vorhang seiner geschäftigen Sorge und seiner heimlichen Traurigkeit. Das Blau des Himmels, das Strahlen der Sonne wäre erschreckender, blendender Kontrast, heller Hintergrund, auf dem das Dunkel der beziehungslos aneinander Vorbeihastenden sich um so bedrückender, um so dunkler ausnähme. Ein Gegenbeispiel: Ein Konvent von Mönchen in Polen, die ärmlich in einer Baracke hausen, denen alles zur Bequemlichkeit und Behaglichkeit fehlt – aber ihre Freude vermag meinen Besuch zu einem Fest werden zu lassen. Zwischen ihnen war das Licht, und es war Licht für mich.

Zwei Beispiele, in denen, wenn auch in entgegengesetzter Richtung, die Menschen stärker sind als die Verhältnisse. Es wäre freilich ein wenig harmlos zu sagen: Seid immer freundlich zueinander, dann ist auch die Welt freundlich! Sicher prägen Menschen die Verhältnisse, aber auch die Verhältnisse prägen die Menschen. Und doch: Auch wo die Verhältnisse übermächtig erscheinen, etwa angesichts einer Naturkatastrophe, wird die Situation entscheidend davon mitbestimmt, wie die Menschen sich zueinander verhalten. Denkt jeder nur an sich, oder hat man auch den anderen mit seiner Not im Blick? Je nachdem, wie wir uns zueinander verhalten, sind wir verurteilt, an den Verhältnissen zu zerbrechen oder sie, wenigstens schritt- [13] weise, selber zu gestalten. Gerade auch die mutige Tat eines einzelnen ist Beispiel und Dienst, sie stiftet ein Verhältnis zu den anderen; wenn einer vorgeht, können wir mitgehen, zwischen uns wächst neuer Anfang, neuer Mut.

Aber warum schaffen wir es so selten, selbst wenn wir nichts gegeneinander haben, Atmosphäre zwischen uns zu stiften? Warum steht zwischen uns jene gläserne Wand, die wir mit unseren Korrektheiten und Freundlichkeiten nicht durchstoßen? Warum reißen uns auch die alarmierendsten Nachrichten nicht aus unserer resignierten oder empörten Zuschauerrolle? Was fixiert uns auf uns selber? Woher die Scheu, die Unfähigkeit, über uns hinaus vorzustoßen in jenes lebendige „Zwischen“, in dem sich doch unsere Welt entscheidet?