Macht und Ohnmacht des Wortes

Zwischenspiel: Verantwortung fürs Wort

Man hätte nun zweifellos das Recht – und dieser Zwischentakt ist notwendig – zu sagen: Geben wir uns doch nicht einfach mit dieser Dramatik als einem Faktum zufrieden, sondern versuchen wir, in diesen Verhältnisbestimmungen die vielfältigen Relationen so aufeinander einzuspielen, daß hier ein Optimum erreicht wird. Das ist doch eigentlich der Vorgang des Sprechens, des verantworteten Sprechens, daß ich mir die Fragen immer wieder neu vorlege: Wie messe ich mein Wort meiner Sache an, wie messe ich mein Wort mir selbst an? Wie messe ich mein Wort meinem Partner an? Wie messe ich mein Wort der Sprache im ganzen an?

Dieser Anmessungsvorgang, dieser Maßnahmevorgang, dieser Vorgang des Verringerns der Unsicherheitsrelation, dieses mich wirklich Einbringen, die Sache wirklich Einbringen, den anderen zum Zuge kommen Lassen, die Sprache selbst in ihren Möglichkeiten Ausschöpfen, das ist der Vorgang verantwortlichen Sprechens. Und jeder, der öffentlich zu sprechen hat, vor anderen, hat sich immer neu zu fragen: Kommt wirklich die Sache zum Vorschein in meiner Sprache? Komme wirklich ich in mein Wort hinein? Oder ist es sozusagen nur eine Kulisse oder eine Maske, hinter denen ich mich verberge? Stehe ich zu meinem Wort? Sage ich das Wort wirklich so, daß es in dieser Relation zwischen Sache und Partner einerseits dem Maß des mitgebrachten Verstehens meines Partners und somit ihm entspricht, anderseits aber dieses Verstehen auch herausfordernd steigert? Ein bloß verständliches Wort wäre eben gerade kein Verständnis förderndes Wort, ein bloß angepaßtes Wort, das nur auf vorhandene Horizonte eingeht, wäre gerade nicht ein volles Wort der Übersetzung; ein bloß heutiges Wort wäre gerade nicht ganz heutig – denn das Heute drängt danach, die Sache besser und mehr und weiter zur Sprache zu bringen, so daß auch künftige und vergangene Sprachmöglichkeiten mit hineingenommen, erschlossen oder bewahrt werden in dieser Anmessung von Sprache an das zu Sagende.

Es ist doch unsere Aufgabe, verantwortlich zu sprechen. Es ist unsere Verantwortung, uns immer und immer wieder fragen zu müssen, was unser [87] Wort ausrichtet, anrichtet bei dem, der dieses Wort hört. Kann er in diesem Wort drinnen sein? Kann er von diesem Wort leben? Kann er aus diesem Wort in der Tat sich und die Welt und das, was ich sage, und die Sache und die Sprache und mich so in sich nehmen, wie es ist und wie es für ihn gut ist? Diese Fragen sind die Fragen der Gewissenserforschung für jeden, der spricht. Und diese Fragen müssen nach meinem Eindruck – ich darf ihn in einer falsifizierbaren Ungeschütztheit sagen – auch beim Religionsunterricht eine Rolle spielen.

Wer entweder die Information und die Sache ausstreicht und sagt: Wenn ich’s doch gut meine und den anderen gern habe, dann ist es schon gut!, der geht fatal an seinem Auftrag vorbei. Wer aber sagt: Wenn es nur stimmt, dann ist es schon gut!, ohne Rücksicht auf die Verluste des anderen und ohne Rückblende auf das Ich, das sich in seinem Wort mitgibt, der verfehlt ebenso seinen Auftrag. Wer bloß schaut, daß es gut klingt und gut ankommt und zu dem paßt, wie man heute einherspricht, wer sozusagen sich seine sprachlichen und pädagogischen Kunstgriffe auf der eigenen Zunge zergehen läßt, dem zerschmelzen sie eben auf der Zunge.

Ein Ansatz bloß bei der Sprache als solcher, bloß bei der Sache als solcher, bloß beim Bekenntnis als solchem und auch ein bloß therapeutischer Ansatz, ein Ansatz gar, der nur bezweckte, Bewunderung und der Zufriedenheit hervorzurufen: dies alles sind zu kurz greifende Ansätze. Wir müssen vielmehr in dieser beständigen Zumessung der Sache, der Situation des anderen, des Bekenntnisses meiner selbst und der Sprachmöglichkeit aufeinanderhin jenes Optimum anzielen, in dem das zu Sagende ankommen und zur Sprache kommen kann.

Wir kommen nicht darum herum: Wir müssen von verschiedenen Enden und Ecken zugleich her ansetzen, damit wir das, was wir sagen, nicht töten, sondern damit das, was wir sagen, selber Leben hat und Leben spendet. Dieser mehrfache Ansatz bei der Existenz, die sich bekennt, bei der Sache, die zu vermitteln ist, bei der Sprache und ihren Möglichkeiten und so gerade bei dir, der du hörst, der du gemeint bist, dieser mehrfache Ansatz scheint mir eine methodische unabdingbare Voraussetzung für das Sprechen zu sein. Zumal in der Verkündigung, zumal auch – ich weiß, daß Religionsunterricht nicht allein Verkündigung ist – im Religionsunterricht muß dieser Ansatz lebendig sein; aber im Grunde in allem Sprechen. Auch und gerade der Politiker, der nicht alle diese Momente mit in sein Sprechen hineinnähme, spräche nicht verantwortlich. Und auch Vater und Mutter, die mit ihren Kindern oder die miteinander ohne diese Ansätze sprächen, sprächen nicht verantwortlich.

Nun aber kommt die Frage zurück an mich: Lieber Bischof, das ist wieder [88] einmal ein Totalanspruch, und wir müssen ja schneller reden, als wir die Worte verantworten können! Wir müssen mehr sprechen, als wir intendieren und reflektieren können! Das Wort ist größer als wir, und wir sind in dauerndem Produktionszwang, der sozusagen die Krebsgeschwulst des sich automatisch vermehrenden und wuchernden Wortes fördert, ohne daß wir sie hinreichend bestrahlen könnten. Ja, so droht es zu sein. Aber da müssen wir uns doch vielleicht einmal – und ich bitte, nicht zu erschrecken – fragen, wie das denn der liebe Gott macht. Der liebe Gott hat es hier natürlich besser, da bei ihm die einzelnen Akte nicht auseinanderliegen, sondern ineinander. Er braucht nur zu sein, hat die alte Theologie gesagt, und da hat sie recht – und dann ist alles schon da! Und bei ihm ist die Schwierigkeit der Differenz des Vermittlungsgeschehens zu ihm selbst – wenigstens in einem vorläufigen und unmittelbaren Hinblick – nicht gegeben. Aber wenn ich schon einmal einen Vorblick auf die Tatsache, daß wir Christen sind, und auf unseren Glauben tun darf, dann gilt doch, daß Gott Liebe ist und daß diese Liebe sein einer Daseins-Akt ist und daß wir in diesem Akt von Liebe ganz genau die Koinzidenz dieser vier Pole, von denen ich gesprochen habe, dieser vier Elemente, sehen können.

Wer liebt, der gibt sich selbst. Wer liebt, der geht darin aber nicht von sich aus, sondern vom anderen. Der geht so von sich aus, daß er sich gibt, aber dieses Sich-Geben heißt gerade: ich gehe vom anderen aus. Darin aber gibt er wirklich das, was er gibt, und verzehrt sich für das, worin er sich gibt, für die Sache. In solchem Zumessen der Sache, des anderen und des Selbst aneinander, darin, daß ich dich meine und von dir ausgehe, indem ich mich gebe und mich so gebe, daß ich darin die Sache gebe, wie sie ist: darin wird Liebe spracherfinderisch. Darin wird Liebe sprachsensibel, lernt sie hineinzuhören in die Chancen und Möglichkeiten der Sprache. So ist die Weise, wie Gott spricht, im Grunde eigentlich eine Anweisung für uns. Und ich darf ein augustinisches Wort abwandeln und sagen: „Ama et dic quod vis“. Liebe und sag, was du willst. Dieses Wort ist gerade nicht der Freibrief dafür, meine netten Intentionen, meine Meinung als den Güteschein und das Garantiezeichen dafür dem anderen zuzumuten, daß alles, was ich rede, schon richtig ist. Nein, so gerade nicht: Liebe ist vielmehr das kreative Vermögen, in diese vierfältige Beziehung einzusteigen, sie zu erhellen mit aller Sorgfalt; in der Sorgfalt aber zugleich jene Dynamik, jene Ursprünglichkeit, jene Unmittelbarkeit zu gewinnen, die in alledem nur eines und dasselbe tut: lieben.

Wir können das nicht von außen demonstrieren, sondern wir müssen es tun. Und ich meine, jeder der in seinem religionspädagogischen Vollzug von dieser Mitte her einsteigt, wird eine doppelte Mühe, aber auch eine [89] dreifache Freude dabei empfinden auch wenn zwischen der doppelten Mühe und der dreifachen Freude freilich das zweieinhalbfache an Leiden und Mittragen-Müssen des Nächsten, der tägliche Tropfen Blut, den ein solches Leben kostet, deutlich spürbar ist.

Dennoch meine ich, dies und dies allein ist der Weg; und hier kann eine höchst sachbezogene und höchst geistliche Weise des religionspädagogischen Vollzugs uns im Kontext von Macht und Ohnmacht des Wortes weiterhelfen.